In der Insolvenz selbständig bleiben
Aktueller BGH Beschluss: Selbständige Schuldner müssen im laufenden Insolvenzverfahren keine angestellte Tätigkeit aufnehmen. Auch nicht, wenn keine pfändbaren Einkünfte erzielt werden. Entgegen der bislang herrschenden Auffassung bei Insolvenzverwaltern und Gerichten hat der Bundesgerichtshof (BGH) aktuell festgestellt, dass ein selbständig tätiger Schuldner auch dann nicht gezwungen ist eine angestellte Tätigkeit aufzunehmen, wenn sein Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit unterhalb der Pfändungsgrenze liegt.
Von dieser höchstrichterlichen Entscheidung können alle Schuldner profitieren, denen während eines laufenden Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter vorgehalten wird, dass sie statt der Ausübung ihrer selbständigen Tätigkeit eine angestellte Tätigkeit annehmen müssten.
In der Insolvenz selbständig bleiben
Im Vorliegenden Fall übte der Schuldner seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine selbständige Tätigkeit als Handelsvertreter aus. Der Insolvenzverwalter hatte die Tätigkeit freigegeben. Der Schuldner erzielte hieraus Einkünfte unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Der Insolvenzverwalter informierte den Handelsvertreter darüber, dass er verpflichtet sei, die Gläubiger so zu stellen, als ob er eine angemessene unselbständige Tätigkeit ausüben würde. Er bezog sich auf § 295 Abs. 2 InsO. Auskünfte über das im Rahmen einer angemessenen unselbständigen Tätigkeit erzielbare Einkommen hat der Schuldner dem Insolvenzverwalter nicht erteilt.
Innerhalb des Schlussberichts wollte der Insolvenzverwalter dem Schuldner keine Restschuldbefreiung wegen Verstosses gegen die insolvenzrechtliche Mitwirkungspflicht erteilen. Begründet wurde diese Maßnahme durch den Insolvenzverwalter damit, dass der Handelsvertreter als ausgebildeter Industriemechaniker innerhalb einer angestellten Tätigkeit ein höheres Einkommen hätte erzielen können. Hierzu hätte der Schuldner jedoch keine Nachweise erbracht.
Auf Antrag mehrerer Gläubiger wurde dem Schuldner durch Beschluss des Insolvenzgerichts die Restschuldbefreiung versagt. Begründet wurde dies mit Hinweis auf den Schlussbericht des Insolvenzverwalters und die darin festgehaltene angebliche Verletzung seiner Mitwirkungspflichten. Konkret hat das Gericht dem Schuldner vorgeworfen, dass er keine hinreichenden Angaben zu den von ihm erzielbaren fiktiven Einkünften aus einem angemessenen angestellten Arbeitsverhältnis gemacht habe.
Der Schuldner legte hiergegen Beschwerde ein, welche zunächst vom Landgericht Stade (Beschluss vom 18.02.10, 7 T 219/09) zurückgewiesen wurde. Der Bundesgerichtshof hat der Rechtsbeschwerde des Schuldners daraufhin stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück verwiesen.
Die Leitsätze des BGH lauten:
1) Der eine Restschuldbefreiung anstrebende Schuldner ist bei mangelndem wirtschaftlichem Erfolg seiner freigegebenen selbstständigen Tätigkeit vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht verpflichtet, ein abhängiges Dienstverhältnis (Anstellung) einzugehen.
2) Der Schuldner hat umfassend über seine Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit Auskunft zu geben, wenn er geltend macht, im Hinblick auf mangelnde Erträge keine oder wesentlich niedrigere Beträge, wie nach dem fiktiven Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO geboten ist, an die Insolvenzmasse abführen zu können.
AKTUELL – auch in der Insolvenz darf man selbständig bleiben
Begründet wurde die Entscheidung durch den BGH wie folgt:
Die Grundsätze, wonach der Schuldner die sich aus einer angemessenen, fiktiven Anstellung ergebenden pfändbaren Einkünfte an den Treuhänder abführen muss, gelten ausdrücklich nur für die Laufzeit der Abtretungserklärung. Also nur für den Zeitraum der Wohlverhaltensphase.
Vorliegend war das Insolvenzverfahren aber nicht aufgehoben worden, so dass die Regelung ausschließlich über den Hinweis in § 35 Abs. 2 InsO zur Anwendung kommen kann. Danach gilt § 295 Abs. II InsO „entsprechend”, wenn die selbständige Tätigkeit des Schuldners im laufenden Insolvenzverfahren freigegeben worden ist. Aufgrund des systematischen Unterschiedes zwischen dem Insolvenzverfahren und der sich anschließenden Wohlverhaltensperiode, können laut BGH die zu § 295 Abs. II InsO entwickelten Grundsätze nicht unmittelbar auf den Anwendungsbereich des § 35 InsO übertragen werden.
Eine Verpflichtung des Schuldners im Insolvenzverfahren anstelle der freigegebenen selbständigen Tätigkeit eine abhängige Beschäftigung aufzunehmen, gäbe es somit nicht. Dies folge auch daraus, dass der Schuldner innerhalb des Insolvenzverfahrens, anders als während der Wohlverhaltensperiode, nicht einmal dazu verpflichtet sei, überhaupt einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Im Ergebnis hat der BGH für den konkreten Fall festgestellt: „Der Schuldner muss nur dann etwas abführen, wenn er tatsächlich Gewinn aus seiner selbständigen Tätigkeit erzielt hat. Die Abführungspflicht ist aber der Höhe nach beschränkt gemäß dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO.”
(BGH-Beschluss vom 13.6.2013 – IX ZB 38/10)
Sicherlich sollte jeder bemüht sein, seine Verbindlichkeiten ordentlich zu tilgen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist aber trotzdem zu begrüßen, da auch Selbständige mit wirtschaftlichen Problemen die Rechtssicherheit haben, dass sie ihre selbständige Tätigkeit weiterführen dürfen und nicht zwangsweise ein Angestelltenverhältnis eingehen müssen.
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